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Wie triffst du eigentlich Entscheidungen? Damit meine ich nicht die vielen Alltagsentscheidungen sondern die großen, die potentiell einen großen Einfluss auf dich und dein Umfeld haben könnten.Zum Beispiel strategische Entscheidungen, Personalentscheidungen, Produktentscheidungen?

Vor Allem wie triffst du Entscheidungen, wenn es dadurch Verlierer und Gewinner gibt?

Denn so viele Entscheidungen für etwas sind zwangsläufig Entscheidungen gegen viele andere Sachen.Ein höheres Budget für Marketing, bedeutet in der Regel Einsparungen in einen anderen Bereich.Nur eine Person kann befördert werden und deswegen viele nicht.Wenn ich Projekte priorisiere, dann muss mir klar sein, dass die Kapazitäten nicht für andere Projekte ausreichen werden.

Es kann nur eine Prio 1 geben. Nur in den wenigsten Fällen sind diese Entscheidungen offensichtlich und liegen auf der Hand. Und selten sind die Entscheidungen binär, Ja / Nein und selten sind auch die Ergebnisse gut oder schlecht. 

Als Führungskraft stehe ich in einer solchen Situation vor der Herausforderung, dass jede Entscheidung zu irgendeiner Art von Unmut führen wird. In diesen Fällen ist es unersetzlich, dass Entscheidungsprozesse fair sind.

Kleiner aber feiner Unterschied – nicht die Entscheidung selbst sondern der Prozess der Entscheidungsfindung. Je nach Perspektive kann ich nicht verhindern, dass man mit dem Effekt der Entscheidung unzufrieden ist oder es unfair findet.

Zum Beispiel bei Freistellungen wird jeder der Betroffenen es als unfair empfinden entlassen zu werden. Aber der Prozess wie diese Leute ausgewählt werden kann dennoch transparent und möglichst fair sein. 

Aus diesem Grund sind ja immer alle empört, wenn Schmiergelder gezahlt werden. Unabhängig davon ob die Entscheidung für einen Lieferanten auch objektiv betrachtet die richtige war, wenn geschmiert wurde halten wir die Entscheidung für falsch. Siehe FIFA. 

Im Alltag sind das dann manchmal Kleinigkeiten, die dazu führen, dass Entscheidungen als „unfair“ betrachtet werden. Der Klassiker sind Entscheidungen, die ohne jegliche Einbindung der Leute getroffen werden, die diese Entscheidungen dann ausführen sollen. Daraus entwickeln sich dann diese Dilbert-Stories. Voller Zynismus und resigniert wird dann über die Entscheidung gemosert.


Umso größer die Firma umso eher werden dann Dinge zwar nicht offen verweigert aber ausgesessen und ausgebremst. Teils unabhängig davon ob die eigentliche Entscheidung falsch oder richtig war. Damit das nicht passiert nutze ich den „Fair-Leadership-Process“ der an der Insead gelehrt wird. Dieser besteht aus 5 Schritten: 

Step 1: Problemdefinition und Einbindung 

Der allererste Schritt ist ein klare Problemdefinition. Was ist eigentlich das Problem, dass wir lösen wollen. Es ist eine vermeintlich einfache Frage aber gerade als Manager hat man die Tendenz so schnell wie möglich Lösungsvorschläge zu entwickeln. Auf diese Weise werden dann schnell „Digital Transformationen“ beschlossen noch bevor ein einheitliches Bild darüber besteht was Digitalisierung ist und vor allem was das konkret für das Unternehmen bedeutet.

Kunst ist es, hier hartnäckig auf eine klare Definition und ein tiefes Verständnis des zugrunde liegenden Problems zu bestehen. Als Leader der sich vielleicht auch gerne selber reden hört, ist es hier wichtig im Zuhörermodus zu bleiben und Fragen zu stellen. 

In diesem ersten Schritt wird das Fundament gelegt was eine Entscheidung beinhalten muss, wer involviert sein sollte, welche Kriterien betrachtet werden sollten. Werden hier bereits Experten aus den operativen Teams herangezogen, dann reduziert das die Gefahr das eine theoretische Lösung entwickelt wird, die das praktische Problem nicht löst.

Durch das frühe involvieren von Schlüsselpersonen, erhöhst du auch die Wahrscheinlichkeit dass sie sich auch im späteren Verlauf für eine Entscheidung und deren Umsetzung einsetzen. Das gesamte Lean-Production oder Toyota System ist gerade deswegen noch immer State of the Art, weil es Systeme bereitgestellt hat, um Bandarbeiter unmittelbar an der Verbesserung der Produktionssysteme zu beteiligen.  

Bei einer strategischen Neuausrichtung, an der ich beteiligt war, bestand dieser Schritt darin einen gemeinsamen Blick auf den Markt und die Herausforderungen zu entwickeln, sowie die Definition was für uns eine vollständige Strategie ist. 

Step 2: Optionen entwickeln und diskutieren

Wenn ich einen guten Job im ersten Schritt gemacht habe, dann bin ich jetzt in der Lage zielgerichtet Optionen zu entwickeln die dieses Problem lösen und ich habe bestenfalls auch schon Kriterien an Hand derer ich die Optionen bewerte.

Die Definition sollte helfen die Lösungsraum einzugrenzen. Herausforderung in diesem Fall ist es, dass alle Optionen auf den Tisch kommen und wirklich bewertet werden. Das heißt keine Taboos und keine Limitierung auf Default-Lösungen (das haben wir schon immer so gemacht).

Den meisten fällt es eher schwer groß zu denken – scheinbar überambitionierte Ideen zu formulieren und diese dann bis auf das Machbare zu reduzieren, und beschränken sich auf oft sehr marginale Veränderungen. Diese Situation erfordert von dir als Führungskraft viel Feingefühl. Du musst eine Atmosphäre schaffen, in der die Leute ihre Ideen ohne Angst vortragen und diskutieren können. Lade besonders die tendenziell stillen Leute dazu ein Input zu liefern und halte dich bewusst als Leader zurück.

Das ist nicht immer leicht. Vor Allem wenn du im Kopf ggf. meinst eine glasklare Lösung zu haben. Auch hier bist du als Leader noch immer primär im Zuhörer-Modus und stellst Fragen. Wenn du, vielleicht auch noch als klassische Type-A-Persönlichkeit gleich mit voller Energie deine vermeintliche Lösung präsentierst, dann lädst du nicht unbedingt zum Ideenaustausch ein und primest alle Beteiligten ggf. schon zu stark. 

Step 3: Entscheiden und erklären

Jetzt ist es soweit. Deine Stunde als Leader ist gekommen. Jetzt ist es an der Zeit die Entscheidung zu treffen. Der Fehler den nicht nur ich, sondern auch viele andere gerne machen ist die ersten Schritte im Entscheidungsprozess zu überspringen und sofort in den Entscheidungsmodus zu kommen.

Natürlich macht man sich als einzelne Person auch Gedanken um die Problemdefinition machen und verschiedene Optionen und Szenarien entwickeln. Das Problem an dieser Herangehensweise ist nicht zwangsläufig das Ergebnis, sondern der dadurch intransparente Prozess. Selbst wenn du für dich selbst nach allen Regeln der Kunst diese Entscheidung analytisch und wohlüberlegt getroffen hast, dann bedeutet das noch lange nicht das die Entscheidung von anderen Key-Stakeholdern nachvollzogen werden kann.

Und wenn diese Leute auch nur den Eindruck haben, dass der Kern des Problems nicht adressiert wird oder das andere, möglicherweise interessanter Optionen nicht in Erwägung gezogen wurden, dann werden sie nicht hinter der Entscheidung stehen oder sich sogar dagegen wehren.

Der Prozess wird dadurch als fair wahrgenommen, wenn Menschen das Gefühl haben das sie selbst oder ein würdiger Repräsentant, ihre Interessen und Meinungen darstellen konnten und diese auch ehrlich in Erwägung gezogen wurden. Nach den ersten zwei Schritten liegt es aber am Ende an dir als Führungskraft eine klare Entscheidung zu treffen und, ganz wichtig, diese zu erklären.

Auf Basis von welchen Daten und Fakten wurde die Entscheidung getroffen und welche Optionen und Ansichten wurden in Erwägung gezogen, und warum hat man sich für einen bestimmten Weg entschieden. Die Frage nach dem „Warum“ darf nicht nur mit „weil ich das sage“ beantwortet werden.

Erst durch eine Erklärung entsteht eine weitläufige Akzeptanz für eine Entscheidung, plus nur so kann eine Entscheidung auch über mehrere Ebenen kommuniziert werden. Wir kennen alle diese Entscheidungen, die umgesetzt wurden weil es eine „Anweisung von oben ohne Widerspruch“ war, was in den meisten Menschen eine Abwehrreaktion auslöst. Wer bekommt schon gerne Befehle. 

Eine Herausforderung in diesem Schritt ist Closure in Bezug auf die Optionen, gegen die man sich entschieden hat. Es ist vergleichbar mit einer guten Beziehung in der second-guessing nicht sehr hilfreich ist. Auch wenn klar ist, dass in der heutigen Welt eine Entscheidung selten in Stein gemeißelt werden kann, sollte man nicht durchgehend an ihr Zweifeln.

Teil der Entscheidung ist auch an welchen Punkten es einen Review gibt und die Entscheidung auf den Prüfstand gestellt wird. Bis zum Review, sollte man die Entscheidung ohne Zweifeln und ohne zögern durchziehen. Unentschlossenheit und das permanente wiederaufwärmen der „Roads not taken“ sind Gift für den Fortschritt jeder Firma. 

Abgesehen von der Erklärung, darf und muss man auch in dieser Stufe zum klassischen Modus wechseln: Ich erkläre euch jetzt was wir machen werden. 

Step 4: Execution

Jetzt gehts ans Eingemachte. Die besten Entscheidungen helfen gar nichts, wenn sie dann nicht umgesetzt wird. Neben klassischem Projektmanagement Empfehlungen wie ein klarer Plan und Rollenverteilung, ist es wichtig das man weiterhin sichtbar hinter der Entscheidung steht.

Gerade bei Workshops oder Strategietagungen werden gerne schnell Entscheidungen getroffen. Aber nach ein paar Tagen, wenn die Anfangseuphorie verflogen ist, dann will keiner was gewusst haben. Umso wichtiger ist es hinterher zu bleiben, den Fortschritt zu überwachen und zu monitoren.

Auch währende der Ausführung ist es wichtig, dass es eine einheitliche Story zur Entscheidung gibt, die lieber zu oft als zu selten wiederholt werden sollte. Warum war die Entscheidung wichtig, richtig und was wollen wir mit ihr erreichen?

Die Story hilft dir auch verschiedene Aktivitäten zu Verknüpfen oder auch Anpassungen an Plan und Durchführung zu erklären. Dadurch entsteht Konsistenz und Konsistenz ist in der Umsetzung Gold. Auch wenn Konsistenz keine ausreichende Bedingung für Fairness ist, so sind so doch zumindest enge Cousins.

Es hat auch einfach was mit Integrität zu tun hinter seinen Entscheidungen zu stehen und nicht durchgehend zu schwanken oder sich von Launen leiten zu lassen. 

Step 5: Retrospektive

Kennt man ja mittlerweile schon von Scrum und den anderen agilen Methoden. In regelmäßigen Abständen ist es gut einen Schritt zurückzumachen um versuchen den Fortschritt oder das Ergebnis zu bewerten. Wurden Erfolge gefeiert und Fehler offen angesprochen und analysiert? Wurden Probleme angesprochen und kreativ gelöst? Learnings sollte man dokumentieren und überlegen wie man diese Erkenntnisse verankern kann.

Dieser Schritt ist aus 3 Gründen sehr wichtig: 

  1. Wir verankern dadurch einen Lernprozess, durch den Entscheidungen und Umsetzung zunehmend besser werden und schützen uns auch vor alten Lastern, die man gerne in einer Firma so mit sich rumträgt.
  2. Wir nehmen uns Zeit den Leuten Anerkennung zu geben die einen wichtigen Beitrag zum Gelingen des Projekts geleistet haben.
  3. Wir zeigen als Führungskräfte auch eine angemessene Bescheidenheit indem wir unsere eigenen Entscheidungen auf den Prüfstand stellen lassen und diese bewerten. Manchmal dauert es Jahre, um falsche Entscheidungen zu identifizieren. Und es ist unangenehm eine Runde einzuberufen, um das zu verbalisieren, was wahrscheinlich jeder weiß: Man hat versagt und einen Fehler gemacht. Meiner Meinung nach erhöht das Eingeständnis eines Fehlers, insbesondere wenn es offensichtlich ist, das Vertrauen und die Glaubwürdigkeit. Die Fehler offen einzugestehen und diese auch offen zu besprechen gibt dir mehr Chancen daraus zu lernen und verhindert den Eindruck als würdest du deine Fehler weg-ignorieren.

 Die Learnings die du mitnimmst, dienen natürlich dann wieder als Input für den nächsten Zyklus. Mir persönlich hilft der Fair-Leadership-Process sehr meine Entscheidungen zu strukturieren. Er wirkt am Anfang etwas behäbig und zeitaufwändig, aber es lohnt sich die Zeit zu investieren. Mit Übung können auch bestimmte Phasen sehr schnell durchgezogen werden, und im Allgemeinen gilt auch für dieses Framework was eigentlich für jedes Framework gilt.

Es ist falsch (denn es bildet nicht die ganze Wahrheit ab) aber nützlich. Nutz es, adaptiert es und behaltet was euch weiterbringt. Ich hoffe ihr konntet paar interessante Tipps mitnehmen.

Soviel bis jetzt zu meiner Journey. Bis zum nächsten Mal!