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Agilität ist ohne Zweifel weiterhin Topkandidat in der Kategorie „Buzzwords die jeder nutzt, ohne die Prinzipien dahinter zu verstanden haben“. Dadurch nutzt sich zunehmend die Wirkung des Begriffs ab und der eigentliche Kern der agilen Führungsprinzipien wird als Hype abgewunken. Das ist bedauerlich weil die Prinzipien Orientierung geben sollen, wie man bestmöglich in einem Kontext agiert, der von Ungewissheit geprägt wird. Du weißt schon…VUCA.

Der Hype wird getrieben von Beratern. Die nennen sich jetzt Agile Coaches und beschäftigen Horden von Mitarbeitern, indem sie Postits auf digitale und analoge Wände kleben. Den Marketingfehler, den die personifizierte Agilität damit macht: Sie versucht mit neuen Menschen, neuen Methoden vermeintlich neue Prinzipien zu verkaufen. Nicht gerade die beste Grundlage für Glaubwürdigkeit! Und dabei geht es nicht um Veränderungsfeindlichkeit oder mangelnde Einsicht, dass sich die Welt ändert. Es ist viel mehr das wissenschaftliche Widerstreben, das Prinzipien die eine gewisse Allgemeingültigkeit beanspruchen auf einen deutlich breiteren Fundus an Evidenz basieren sollte als Softwareentwicklung und Unternehmen aus dem Silicon Valley. Und das ist ein berechtigter Einwand. 

Die Tragik: Es gibt reichlich mehr an Evidenz, dass agile Prinzipien eine allgemeine Gültigkeit haben. Man spricht nur nicht über sie, weil manch ein Verfechter im Windschatten der Agilität unbedingt auch New Work Utopien wie Hierarchiefreiheit und allgemeine individuelle Selbstverwirklichung einführen möchte.

Da wären zum Beispiel die Japaner aus den 70ern. Musterbeispiel der hierarchischen Konformität. Bereits 1986 veröffentlichten die Japaner Hirotaka Takeuchi und Ikujiro Nonaka den Artikel „The New New Product Development Game“, in dem sie beschreiben wie japanische Unternehmen in den 70ern schnell und flexibel Produkte entwickelt haben, die den damaligen Zeitgeist getroffen haben. Das Wort Agilität kommt zwar nicht vor, aber die Autoren beschreiben den Konflikt, dass eine sequentiellen Planung im Sinne des Wasserfallmodells nicht vereinbar ist mit der Geschwindigkeit und Flexibilität, die von den Märkten gefordert wird. Und wir sprechen hier von Kameras, Druckern und Autos die noch immer verhältnismäßig lange Produktzyklen haben. Sie schlussfolgern das Unternehmen dann bei der Entwicklung neuer Produkte erfolgreich sind, wenn:

  • Sie eine klares Ziel haben
  • Interdisziplinäre autonome Teams aufbauen
  • Einem iterativen Prozess folgen, der Lernen fördert und schnelle Anpassung ermöglicht

Hört sich sehr nach der Standardforderung jeder agilen Transformation an. Nicht zufällig manifestiert Japan zu dieser Zeit eine Vorherrschaft in der Elektronik- und Automobilindustrie. Und ein Teil wurde in Form von Kaizen (Lernen durch Iteration) und Lean Production (Verantwortung Aller für Qualität- und Prozessverbesserungen) auch in Europa in folgenden Jahren erfolgreich importiert. Der KVP – der kontinuierliche Verbesserungsprozess – müsste noch heute jedem Mitarbeiter eines produzierenden Konzern bekannt sein.

Aber es geht noch extremer. Der absolute Antichrist des agilen Hipsters: Das preußische Militär. Uniformität, Gehorsam und Disziplin gepaart mit einer strikten Hierarchie – ich kann kein besseres Feindbild finden. Und trotzdem behaupte ich: Carl von Clausewitz und Helmut von Moltke sind die eigentlichen Paten der agilen Führung.

In seinem Magnus Opus „Vom Kriege“ (ca. 1832) beschreibt Carl von Clausewitz, dass man sich seiner „Kenntnis, welche man von dem Feinde und seinem Lande hat, also die Grundlage aller eigenen Ideen und Handlungen.“ nie wirklich sicher sein kann. „Man betrachte einmal die Natur dieser Grundlage“, so fuhr Clausewitz nämlich fort,« ihre Unzuverlässigkeit und Wandelbarkeit, und man wird bald das Gefühl haben, wie gefährlich das Gebäude des Krieges ist, wie leicht es zusammenstürzen und uns unter seinen Trümmern begraben kann. […] Ein großer Teil der Nachrichten, die man im Kriege bekommt, ist widersprüchlich, ein noch grösserer ist falsch und bei weitem der grösste einer ziemlichen Ungewissheit unterworfen.“ „Drei Viertel derjenigen Dinge, worauf das Handeln im Kriege gebaut wird, liegen im Nebel einer mehr oder weniger großen Ungewissheit.“

Ja bereits im 19 Jahrhundert war Krieg ziemlich VUCA. Statt eines Akronyms blieb aber die Metapher „Nebel des Krieges“. Die Herausforderung ist damals wie heute, dass wir nicht wissen was da vor uns liegt. Aber wie gehen wir damit um? Von Moltke erklärt erstmal das Wasserfallmodell für überholt, denn „nur der Laie glaubt in dem Verlauf eines Feldzuges die konsequente Durchführung eines voraus gefassten, in allen Einzelheiten überlegten und bis ans Ende festgehaltenen, ursprünglichen Gedankens zu erblicken,“ In der Realität war das Vorgehen meist viel agiler. Die Ziele bleiben die gleichen, „aber die Wege , auf welchen [der General] sie zu erreichen hoffen, lassen sich auf weit hinaus nie mit Sicherheit feststellen. Er ist im Laufe des ganzen Feldzuges darauf angewiesen, eine Reihe von Entschlüssen zu fassen auf Grund von Situationen, die nicht vorherzusehen sind.“ Von Moltke bricht hier quasi eine Lanze für all die Produktmanager, die mal wieder erklären müssen, warum die aktuelle Roadmap unverbindlich ist.

Die Herausforderung ist dabei so von Moltje weiter, das „Gegebene richtig zu würdigen, das Unbekannte zu erraten, einen Entschluss schnell zu fassen und dann kräftig und unbeirrt durchzuführen“. Eric Ries würde sagen, man muss auf Basis von Daten Hypothesen generieren und deren Annahmen in Form von Experimenten schnell und entschlossen überprüfen. 

„Als Resultat dieser Gedanken wurde das Prinzip der Auftragstaktik entwickelt die einem klaren Prinzip folgte: Weil der Vorgesetzte ohnehin nie das gesamte Geschehen auf dem Gefechtsfeld überblicken, alle Unwägbarkeiten im Detail voraussehen und das Handeln der eigenen Truppen unmittelbar beeinflussen kann, wird dem Untergebenen nur das zu erreichende Ziel vorgegeben, während die Einzelheiten der Durchführung ihm selbst überlassen bleiben. Dank der dadurch erzielten Stärkung von Eigenverantwortlichkeit der tieferen Führungsstufen kann auch in unklaren Lagen rasch und entschlossen gehandelt werden.“ (Bühlmann & Braun, 2010) 

Klare Zielen und Autonomie bei der Durchführung, um flexibel auf veränderte Bedingungen reagieren zu können; damit finden wir die Prinzipien agiler Führung, die wir heute als modernen Hype abwinken möchte. Und das preußische Militär war damit sehr erfolgreich. Nicht nur mit Helmuth von Moltke in den drei deutschen Einigungskriegen, sondern auch in den folgenden Weltkriegen wurden auf Basis der Auftragstaktik militärische Meisterleistungen verbracht. Nicht umsonst ist die Auftragstaktik heute weltweit, insbesondere bei Eliteeinheiten, „Best Practice“. 

Ich verstehe den Reflex, dass wir nicht vom Krieg und Militär lernen wollen. Mord und Totschlag passen nicht in ein humanitäres Weltbild. Und im Stuhlkreis, in dem wir dann gemeinsam gewaltfreie Kommunikation praktizieren sollen, helfen die Assoziationen von preußischen Offizieren und Generälen nur sehr bedingt. Dennoch sollten wir anerkennen, dass die Prinzipien agiler Führung nicht nur im Kontext Mate trinkender Millenials funktioniert, die in Berlin die nächste Datingapp entwickeln. Viel mehr haben sich diese Prinzipien bereits seit über 100 Jahren in unterschiedlichen dynamischen Umfeldern bewährt.

Losgelöst von den oft nervigen Methoden und den agilen Schlangenölverkäufern, können wir doch akzeptieren, dass diese „gehypten“ Pinzipien, schon immer die Grundlage guter Führung waren. Vielleicht sollten es die Coaches wirklich mal versuchen und mit dem tragen einer Pickelhaube eine Brücke zu den Tugenden der ewig Konservativen zu schlagen. So kann man vielleicht auch sie von den bewährten Prinzipien der agilen Führung überzeugen.

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Quellen: 

Bühlmann, C., & Braun, P. (2010). Auftragstaktik in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Allgemeine Schweizerische Militarzeitschrift, 176(6), 50.

Oetinger, B. V., Ghyczy, T., & Bassford, C. (2008). Clauswitz. Strategie denken. dtv.

Takeuchi, H., & Nonaka, I. (1986). The new new product development game. Harvard business review, 64(1), 137-146.